Arbeitsmarkt
Wunschdenken oder Realität? Die Wahrheit hinter der Vier-Tage-Woche
Europaweit stösst das Konzept der Vier-Tage-Woche auf grosse Aufmerksamkeit und in vielen Ländern wird versucht, darüber den umkämpften Arbeitsmarkt zu entlasten. Umfragen zeigen durchaus positive Ergebnisse nach der Einführung der verkürzten Arbeitswoche, wie auch die Resultate einer britischen Studie darlegen. Anscheinend werden Motivation und Produktivität der Arbeitnehmer:innen erhöht, während Stress und Belastung gesenkt werden. Viele Unternehmen berichten positiv über die Auswirkungen auf die Mitarbeiter:innen. Doch ob das Konzept auch für den Schweizer Arbeitsmarkt infrage kommt? Oder stösst es angesichts hiesiger Regelungen an seine Grenzen? Wir haben genauer hingesehen und anhand von Studien und Forschungsergebnissen die Auswirkungen auf die Work-Life-Balance, die positiven und negativen Aspekte der Vier-Tage-Woche bewertet. Dabei gab es auch Antworten auf die Frage, ob dieses Arbeitskonzept in der Schweiz sinnvoll umsetzbar sein kann.
Verschiedene Modelle der Vier-Tage-Woche in Europa
Am bekanntesten dürfte wohl Island sein, denn hier wurden zwei mehrjährige Testphasen zur Einführung der Vier-Tage-Woche durchgeführt – mit positivem Fazit auf die Effektivität der Mitarbeiter:innen und deren Produktivität. Auch in Spanien und Belgien wurden entsprechende Modelle getestet, wobei der Effekt in Belgien als so positiv bewertet wurde, dass dort im Februar 2022 das gesetzliche Recht auf eine Vier-Tage-Woche verankert wurde. Arbeitnehmer:innen können dort in Zukunft selbst zwischen einer Vier- oder Fünf-Tage-Woche wählen. Dabei geht es jedoch nicht um eine verkürzte Arbeitszeit, denn diese bleibt auf 38 Stunden festgelegt.
Anderswo gab und gibt es einzelne Unternehmen, die entsprechende Testläufe zur Vier-Tage-Woche abhalten, wobei es in erster Linie die Wissens- und Kreativbranche ist, die derlei Versuche startet. In Regierungsbehörden und öffentlichen Einrichtungen hingegen sind kürzere Arbeitswochen immer noch eine Rarität.
Für die Vier-Tage-Woche gibt es auch bei einer Debatte in der Schweiz verschiedene Modelle:
- Verkürzung der Arbeitswoche ohne Reduzierung der Arbeitszeit pro Woche: Angestellte können an vier Tagen mehr oder an fünf Tagen wie gewohnt arbeiten. Der Lohn bleibt gleich, die Arbeitsbelastung ebenfalls. Es werden nicht mehr Mitarbeiter:innen eingestellt. Das Konsumverhalten der Angestellten bleibt ebenfalls unverändert. Schwierigkeiten können sich bei einer verlängerten Arbeitszeit im Hinblick auf die Pausen- und Ruhezeiten ergeben.
- Reduzierung der Wochenarbeitszeit: Hierbei fällt der fünfte Arbeitstag einfach weg, wobei der Lohn gleich bleiben oder entsprechend nach unten korrigiert werden kann. Die Reduzierung des Lohns hat negative Auswirkungen auf das Konsumverhalten der Angestellten und ist daher wirtschaftlich wenig attraktiv.
Vorteile der Vier-Tage-Woche
Unternehmer, die die Vier-Tage-Woche ausprobiert haben, berichten viel Positives. Teilweise haben sich zum Beispiel die Krankheitstage um bis zu ein Viertel verringert. Ausserdem haben sich die Motivation der Mitarbeiter:innen und deren Einstellung zum Unternehmen verbessert. Man steht häufiger hinter dem Unternehmen und positive Aspekte werden auch nach aussen kommuniziert. Dies wiederum hat einen Mehrwert im Sinne des Marketings – man unterschätze nie die Wirkung der Mundpropaganda! Sie kann um ein Vielfaches effektiver sein als ausgeklügelte Marketingmassnahmen, denn andere Menschen vertrauen eher auf die Aussagen Bekannter als auf die der Werbung. Viele Beschäftigte sind stolz darauf, in einem Unternehmen zu arbeiten, das das Wohl der Mitarbeiter:innen nach oben stellt.
Wird die Arbeitszeit bei dem gewählten Modell reduziert, profitieren die Arbeitnehmer:innen von mehr Freizeit. Gerade das ist vielen wichtig, denn sie wollen heute mehr denn je Zeit für die Familie und für eigene Interessen haben. Die Mitarbeiter:innen engagieren sich zudem in Vereinen oder in ehrenamtlichen Positionen. Davon profitiert die ganze Gesellschaft. Geht es allein um die Vorteile der Vier-Tage-Woche, so ziehen die Unternehmen dieses Fazit:
- Die Mitarbeiter:innen sind motivierter und produktiver.
- Der Krankenstand ist geringer, das hat positive finanzielle Auswirkungen für das Unternehmen.
- Die Angestellten haben mehr Freizeit und sind kreativer.
- Das Stressempfinden unter den Mitarbeiter:innen ist geringer.
Herausforderungen durch die Vier-Tage-Woche
Die Ablehnung der Vier-Tage-Woche mit rund 46 Prozent der Befragten in der Schweiz rührt nicht von ungefähr. Denn: Wird die Arbeitszeit nicht verkürzt, sondern nur die Anzahl der Arbeitstage pro Woche, ergibt sich an den vier Tagen ein deutlich höheres Arbeitspensum. Werden weitere Mitarbeiter:innen eingestellt, verteilt sich die Arbeit auf mehrere Schultern. Ist das nicht der Fall, sind Überstunden eine häufige Begleiterscheinung. Damit mag zwar an einem Tag in der Woche mehr Freizeit sein, an den anderen Tagen jedoch nicht. Sie bleiben reine Arbeitstage, an denen keine Zeit für anderweitige Beschäftigungen bleibt.
Nicht nur die Aspekte der Gesundheit und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf stehen bei der Frage, ob das Konzept der Vier-Tage-Woche ideal ist oder nicht, im Fokus. Vielmehr geht es auch in Unternehmen darum, ob dieses Arbeitsmodell überhaupt sinnvoll ist. Das gilt vor allem, wenn die Vier-Tage-Woche nicht vorgeschrieben ist: Sind am fünften Tag nur eine Handvoll Teammitglieder anwesend, können Projekte nicht fortgeführt werden. Sofern sich jede:r aussuchen kann, ob er oder sie beispielsweise am Freitag im Büro erscheint, wird es schwierig, die Arbeit an diesem Tag zu planen. Und was ist in der Folgewoche? Sind dann andere Mitarbeiter:innen anwesend? Ein kreativer und produktiver Prozess wird durch die Vier-Tage-Woche in jedem Fall behindert. Dies ist anders, wenn das Arbeitsmodell konkret vorgeschrieben ist und wie in dem Beispiel am Freitag niemand arbeitet. Hier muss sich die Arbeit auf die verfügbaren Tage verteilen, anwesend sind dann jedoch alle Verantwortlichen.
Einfluss der Vier-Tage-Woche auf die Work-Life-Balance
Die meisten, die nach einer neuen Stelle suchen, setzen eine positive Work-Life-Balance ganz nach oben auf ihre Wunschliste. Erst dann folgen Lohn und eventuelle Zusatzleistungen, die der Arbeitgeber seinen Angestellten möglicherweise gewährt. Junge Fachkräfte wollen flexibel sein und erwarten diese Flexibilität auch von ihrem künftigen Arbeitgeber. Die Gesundheit steht dabei als Ziel ganz oben und ob diese mit der Vier-Tage-Woche wirklich erreicht werden kann, ist derzeit noch fraglich, selbst wenn einige Unternehmen Positives in dieser Richtung berichten.
Gerade der Aspekt der Gesundheit ist es, der bei einer Normalarbeitszeit von 42 Stunden in der Schweiz schwierig werden könnte. Verteilt auf vier Tage würden täglich 10,5 Arbeitsstunden anfallen. Die Mehrbelastung mag anfangs gering erscheinen, doch der Unterschied zu den 8,4 Stunden bei einer Fünf-Tage-Woche ist rasch spürbar. Dabei handelt es sich um die reine Arbeitszeit, zu der die Pausenzeit von einer Stunde pro Tag noch hinzugerechnet werden muss. Angestellte wären damit regulär einen halben Tag, also fast zwölf Stunden, am Arbeitsplatz. Dies ist eine gesundheitliche Belastung, die kurzzeitig machbar ist, auf Dauer jedoch ein hohes Risiko darstellt. Die Work-Life-Balance wird dort noch schlechter, wo die gesetzliche Maximalarbeitszeit von 45 Stunden veranschlagt ist.
Das Fazit zur Vier-Tage-Woche auf die Work-Life-Balance ist somit nicht positiv, denn für Freizeit und Familie bleiben effektiv nur noch drei Tage übrig. Da mindestens einer davon zur Erholung nach der anstrengenden Woche nötig ist, dürften sich rasch Unzufriedenheiten einstellen.
Ist eine Vier-Tage-Woche immer umsetzbar?
Auch wenn es aus verschiedenen Ländern positive Berichte über die Vier-Tage-Woche gibt, so scheint es doch in vielen Branchen und Bereichen sowie speziell in der Schweiz aufgrund der gesetzlichen Arbeitszeitregelungen schwierig zu sein, dieses Konzept umzusetzen. Vor allem dort, wo es eine Präsenz- und Ladenöffnungszeit gibt, wird die Vier-Tage-Woche ein Problem. Das gilt auch für Unternehmen, die Termine und Meetings organisieren und koordinieren müssen, hier würde die Vier-Tage-Woche die Situation deutlich erschweren.
In vielen Unternehmen wurde schon seit Längerem auf höchstmögliche Effizienz und Produktivität gesetzt. Automatisierte Prozesse und Mitarbeiter:innen, von denen jede:r genau weiss, was zu welcher Zeit und an welcher Stelle zu machen ist, lassen keinen Raum für noch mehr Effizienz. Doch genau diese würde benötigt, wenn die Vier-Tage-Woche umgesetzt werden soll. In bereits hocheffizienten Bereichen und Branchen ist die Vier-Tage-Woche daher ebenso undenkbar wie in Bereichen, in denen Projektarbeit mit einer klaren Aufgabenverteilung im Team vorherrscht. Besprechungen sind dort schlicht unmöglich, wenn immer wechselnde Teammitglieder fehlen.
Wohl keine flächendeckende Einführung möglich
Die Vier-Tage-Woche könne laut Experten funktionieren, doch die Umsetzung dürfte anspruchsvoll und mitunter hochkompliziert werden. Unternehmen, die das Konzept umsetzen möchten, müssen verschiedene Prozesse anpassen, damit das Vorgehen praktikabel ist. Es ist daher zu erwarten, dass einige Unternehmen in der Schweiz auf die Vier-Tage-Woche setzen, doch eine flächendeckende Einführung des Konzepts wird es nach dem heutigen Stand nicht geben. Dies muss auch vor dem Hintergrund der verbreiteten Teilzeitarbeit gesehen werden. Wo bereits in Teilzeit gearbeitet wird, kann die Tätigkeit meist nicht von fünf auf vier Tage reduziert werden. Dies wäre nur möglich, wenn mehr Mitarbeiter:innen eingestellt werden. Umfragen unter Mitarbeiter:innen verschiedener Firmen haben zum Konzept der Vier-Tage-Woche Folgendes ergeben:
- 43 Prozent der Befragten sagen, dass das Modell funktionieren könne, aber nicht für jeden Beruf.
- 26 Prozent der Befragten sagen, dass das Modell so nicht funktionieren könne.
- 29 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich das Modell «verdient» hätten.
- Je ein Prozent gaben an, dass das Modell im Unternehmen getestet wurde und gut bzw. nicht gut lief.
Eine Verkürzung der Arbeitszeit kann zudem in Branchen, die über einen anhaltenden Fachkräftemangel klagen, problematisch sein. Die notwendigen Fachkräfte über eine Zusatzanstellung zu gewinnen, scheint derzeit noch problematisch zu sein. Ausserdem droht eine Standortverschiebung bei preisintensiven Produkten, die durch die Verteuerung der Arbeit noch einmal teurer werden würden.
Das Titelbild wurde mithilfe eines KI-Tools erstellt.