Lohntransparenz – Verdienst du, was du verdienst?
Spätestens, wenn am Ende des Geldes noch ganz schön viel Monat übrig ist, stellt sich die Frage: Zahlt dein:e Chef:in dir eigentlich so viel, wie deine Arbeit wert ist?
Bei der Suche nach einer Antwort liegt es nahe, dein Salär mit dem von Kolleg:innen zu vergleichen. Oder mit dem von Gleichgestellten in anderen Firmen. Deren Salär herauszufinden, ist in der Schweiz aber immer noch ausgesprochen schwierig. Denn die meisten Führungskräfte lassen sich ungern in die Karten schauen. Und viele denken immer noch: Über Lohn (und Geld) spricht man nicht.
So konnte sich im Februar 2022 nur ein Drittel der Recruiter:innen vorstellen, die Löhne in ihren Unternehmen offenzulegen. 61 Prozent der Befragten lehnten Lohntransparenz – oder Salary Transparency – grundsätzlich ab.
Einen Nachteil stellt das in besonderem Masse für Frauen dar. Die hatten laut einer Lohnstrukturerhebung im Jahr 2020 jeden Monat sage und schreibe 1500.– Franken weniger in ihrer Lohntüte als Männer. Dabei lässt sich dieser Unterschied laut Bundesamt für Statistik nur zur Hälfte dadurch erklären, dass Frauen häufiger in schlecht bezahlten Branchen arbeiten. Die andere Hälfte des sogenannten Gender Pay Gaps weist auf eine Lohndiskriminierung von Frauen hin. Zwar sind seit 2020 grosse Unternehmen verpflichtet, über die finanzielle Gleichbehandlung der Geschlechter Zeugnis abzulegen. Von einer Lohntransparenz sind wir aber noch weit entfernt. Dabei haben auch männliche Beschäftigte ein grosses Interesse an einer offenen Kommunikation über Löhne und Gehälter. Sie erleichtert die Gehaltsverhandlungen beim Vorstellungsgespräch und ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu gerechten und gleichen Löhnen. Dabei ist zu beachten, dass Lohntransparenz in der Regel nicht die Benefits umfasst, die Arbeitgeber auf das Gehalt draufpacken. Dazu kann das Monatsticket für den öffentlichen Nahverkehr ebenso gehören wie die Mitgliedschaft im angesagten Fitness-Studio.
Wonach sich dein Lohn bemisst: Prozedurale Lohntransparenz
Das Bemühen um mehr Offenheit in Sachen Bezahlung muss nicht unbedingt heissen, dass die gesamte Belegschaft über Grundgehälter, Boni und Benefits jedes Mitarbeiters und jeder Mitarbeiterin informiert wird. Eine Studie der Universität Luzern aus dem Jahr 2017 kommt zu dem Schluss: Viel wichtiger als das „Wieviel“ ist für Arbeitnehmer:innen die Frage, nach welchen Kriterien ihre Löhne festgelegt werden. Also: Welche Rolle spielen Ausbildung und Berufserfahrung? Macht es einen Unterschied, an welchem Standort ich für mein Unternehmen tätig bin? Was genau sind die Voraussetzungen für eine bestimmte Prämie, einen Bonus oder sonstige Zusatzleistungen? Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang von der „prozeduralen Lohntransparenz“. Sie beinhaltet, dass du und jede:r einzelne deiner Kolleg:innen exakt nachvollziehen können, wie euer Lohn zustande kommt und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. Von dieser Form der Transparenz profitiert übrigens auch die Chefetage. Laut der oben genannten nicht repräsentativen Untersuchung der Uni Luzern geht prozedurale Lohntransparenz einher mit einer höheren Unternehmensleistung und mehr Kundenzufriedenheit.
Welcher Job wie viel einbringt: Distributive Lohntransparenz
Einen Schritt weiter gehen Betriebe, die exakte Lohnbänder bekannt geben. Darunter versteht man die Mindest- sowie die Maximalvergütungen, die im Unternehmen für die verschiedenen Funktionen gezahlt werden. Im Fachjargon heisst das „distributive Lohntransparenz“. Auch Lohnerhöhungen müssen in diesem Zusammenhang kommuniziert werden. Vereinzelt legen Firmen sogar individuelle Löhne und Gehälter sämtlicher Angestellter offen. In solchen Fällen kannst du dich ganz legal und offiziell darüber informieren, was etwa Frau Egli aus der Buchhaltung oder Herr Dr. Hunziker aus dem Vorstand verdienen. Umgekehrt kannst dann natürlich auch du kein Geheimnis daraus machen, was die Firma dir am Ende des Monats auf dein Konto überweist.
Übrigens: Auch wenn manche Firmen sogar vertraglich verbieten, über Löhne zu sprechen, ist das nicht rechtens. Das Bundesgericht hat nämlich beschlossen, dass Löhne nicht unter das Geschäftsgeheimnis fallen.
Lohntransparenz: Richtlinien und Vorgaben
In der Europäischen Union ist im Sommer 2023 eine Richtlinie in Kraft getreten, die EU-weit für mehr Lohngleichheit sorgen soll. Bis Mitte 2026 müssen die Mitgliedsstaaten die Richtlinie in nationales Recht umsetzen. Weil die Schweiz nicht zur EU gehört, gelten hier andere Regeln.
Lohntransparenz ist in den 26 Kantonen der Eidgenossenschaft nicht gesetzlich vorgeschrieben. Allerdings sind öffentlich-rechtliche und private Unternehmen seit Juli 2020 zumindest zu einer gewissen Offenheit verpflichtet. Grund ist eine Ergänzung des Gleichstellungsgesetzes (GIG) für Mann und Frau. Es schreibt vor, dass Unternehmen mit mindestens 100 Mitarbeiter:innen (egal ob Voll- oder Teilzeit) eine sogenannte Lohngleichheitsanalyse mit einer wissenschaftlichen und rechtskonformen Methode durchführen müssen. Die Analyse wird anschliessend von einer unabhängigen Stelle mit entsprechender Zulassung geprüft.
Wichtiger Punkt: Nach dem Abschluss müssen innerhalb eines Jahres Arbeitnehmer:innen (und gegebenenfalls auch Aktionär:innen) über das Ergebnis informiert werden. Auf diese Weise soll die Analyse offenlegen, ob Unternehmen gegen die in der Verfassung festgelegte Lohngleichheit von Mann und Frau bei gleichwertiger Arbeit verstossen. Liegt eine solche geschlechtsbezogene Diskriminierung vor, muss die Analyse nach vier Jahren erneut durchgeführt werden. Wenn dagegen keine geschlechtsspezifischen Nachteile festzustellen sind, fordert das Gesetz keine weiteren Analysen für die Zukunft. Es setzt vielmehr auf Sensibilisierung und die positiven Effekte des neuen GIG. Und das mit Erfolg, wenn man dem Bundesamt für Justiz glauben darf: Demnach lassen viele Unternehmen mittlerweile freiwillig regelmäßig die Lohngleichheit in ihrem Haus analysieren.
Gleichbehandlung als Reputationsgewinn
Zwar sieht das GIG keine Sanktionen vor, falls Arbeitgeber die Untersuchung nicht gemäss den Vorgaben durchführen. Fachleute gehen aber davon aus, dass Vorstände und Führungsetagen das Gesetz auch in eigenem Interesse einhalten. Denn der Ruf eines Unternehmens dürfte enorm darunter leiden, wenn es keine korrekt durchgeführte Analyse vorweisen kann.
Lohntransparenz Vor- und Nachteile
Lohntransparenz: Gegenargumente
Salary Transparency legt Gehaltsdiskriminierung offen und leistet einen Beitrag zu mehr Gleichstellung. Doch sie bringt auch Risiken mit sich, wie eine weitere Untersuchung der Luzerner Wissenschaftler:innen belegt. So kann der Vergleich mit anderen durchaus Unzufriedenheit heraufbeschwören. Dann nämlich, wenn die veröffentlichten Ergebnisse als unfair empfunden werden. Weil etwa der Kollege oder die Kollegin aus der eigenen Abteilung trotz dauernden Zuspätkommens mit dem gleichen oder gar einem höheren Netto nach Hause geht, als man selbst. Und es gibt noch weitere Faktoren, die Kritiker:innen von Lohntransparenz ins Feld führen:
- Bisher unterbezahlte Arbeitnehmer:innen neigen eventuell dazu, deutlich höher dotierte Stellenangebote zu ignorieren, weil sie fürchten, den Anforderungen nicht zu genügen. In diesem Fall entgingen den Bewerber:innen durch die Offenheit möglicherweise attraktive Jobs und dem Unternehmen qualifizierte Fachkräfte.
- Die Fluktuation in der Belegschaft nimmt zu, falls sich zeigt, dass einige deutlich weniger verdienen, als ihre Kolleg:innen in ähnlichen Aufgabenbereichen. Es sind also oft nicht nur Lohntransparenz, sondern auch Lohnanpassungen nötig.
- Vor allem bei höheren Positionen stellen Kapitalbeteiligungen und Aktienpläne oft einen Teil des Gehalts dar. Aufgrund der schwankenden Werte können sie aber im Rahmen der Lohntransparenz nicht erfasst werden.
Andererseits bringt das Offenlegen von Löhnen im besten Fall den bisher unterrepräsentierten Teilen der Bevölkerung mehr berufliche Gleichberechtigung. Dazu zählen immer noch Frauen, aber auch Menschen mit Behinderungen, queere Personen, Migrant:innen und People of Color.
Lohntransparenz: Pro-Argumente
- Der Zeitaufwand bei der Stellen- und Bewerbersuche wird für beide Seiten reduziert, denn Arbeitnehmer:innen reagieren nur noch auf Angebote, die ein für sie attraktives Gehalt beinhalten. In den HR-Abteilungen nimmt die Belastung durch eine grosse Zahl nicht relevanter Bewerbungen ab.
- Gehaltsverhandlungen werden für Mitarbeiter:innen und Personaler:innen deutlich verkürzt und erleichtert.
- Menschen, die den Wert ihrer eigenen Leistung bisher unterschätzt haben, erfahren, fordern und erhalten nun ein angemessenes Salär.
- Neid und Missgunst im Kollegium können verhindert werden, wenn klar ist, dass niemand benachteiligt wird.
- Unternehmen signalisieren nach innen und nach aussen, dass ihnen Fairness und Gleichberechtigung wichtig ist.
Salärtransparenz in der Praxis
Anfang 2022 machte die Familie Wiesner Gastronomie (FWG) mit einer Lohntransparenz-Offensive von sich reden. Die rund 1000 Teammitglieder können seitdem in der Personalabteilung den Lohn jeder und jedes Angestellten erfragen. Ja, auch die Gehälter der Geschäftsführung werden offen kommuniziert. Wenn du dich für einen Job in den 35 verschiedenen Restaurants des Zürcher Unternehmens interessierst, kannst du auf der Homepage anhand deiner Qualifikation und der gewünschten Tätigkeit deinen Lohn auf den Franken genau errechnen. Nur die Höhe des Trinkgelds wird selbstverständlich nicht vorausgesagt. Das Unternehmen verspricht sich von der Offenheit ein besseres Betriebsklima und mehr Zufriedenheit unter dem Personal. Über kurz oder lang komme an der Lohntransparenz ohnehin kein Unternehmen vorbei, meint man hier. Schliesslich gäben auf einschlägigen Webseiten schon jetzt Tausende Mitarbeiter:innen anonym ihre Löhne und Gehälter und die zugehörigen Positionen bekannt.
Auch bei JobCloud, zu dem Jobs.ch und Jobup.ch gehören, ist Lohntransparenz wichtig. Wie unser Weg vom Ungewissen in die Klarheit verlief, verraten wir hier.
Wo Lohntransparenz praktiziert wird
Auch verschiedene kleinere Arbeitgeber in der Schweiz haben sich für vollständige Lohntransparenz entschieden. Die Alternative Bank Schweiz (ABS) veröffentlicht innerhalb des eigenen Hauses einmal im Jahr die aktuelle Lohnliste. Was Geschäftsleitung und Verwaltungsrat verdienen, kann sogar im Geschäftsbericht nachgelesen werden. Die Ergon Informatik AG, ein Software-Entwickler aus Zürich, stellt die Lohnliste der 160 Angestellten jährlich aktualisiert ins hauseigene Intranet. Und die rund 25 Mitarbeiter:innen der Berner Empiricon-AG wissen zumindest, welcher Lohn auf den verschiedenen Postionen der Firma gezahlt wird. Eigentlich naheliegend, denn das Beratungs- und Forschungsunternehmen bietet im Rahmen seiner Tätigkeiten unter anderem die Durchführung von Lohngleichheitsanalysen an.
Spitzenposition Skandinavien
In Schweden sind weder Einkommen noch Steuerdaten der Bürger:innen ein Geheimnis. Direkt nebenan in Norwegen werden mittlerweile sogar einmal im Jahr die Steuerdaten aller Einwohner:innen im Internet veröffentlicht.
Mehr Lohntransparenz in deinem Umfeld
Ob dein:e Chef:in sobald alle Löhne offenlegen will oder muss, bleibt abzuwarten. Das heisst aber nicht, dass du bei deiner nächsten Gehaltsverhandlung auf Spekulation angewiesen bist. Mit unserem Lohnrechner kannst du heute schon deinen Lohn mit anderen vergleichen. Je mehr hier ihr Salär eingeben, umso aussagekräftiger sind die Werte.
FAQ: Lohntransparenz
Was ist Lohntransparenz?
Lohntransparenz bezieht sich auf die Offenlegung von Löhnen innerhalb eines Unternehmens. Das kann bedeuten, dass du genau weißt, wie viel deine Kolleg:innen verdienen, oder zumindest die Kriterien und Berechnungen verstehst, die zu diesen Zahlen führen.
Warum ist Lohntransparenz wichtig?
Lohntransparenz kann dazu beitragen, Lohndiskriminierung zu verringern und sicherzustellen, dass alle Mitarbeiter:innen fair bezahlt werden. Es kann auch helfen, das Vertrauen in einem Unternehmen zu stärken und sicherzustellen, dass alle auf dem gleichen Stand sind, wenn es um Gehaltsverhandlungen geht.
Ist Lohntransparenz in der Schweiz gesetzlich vorgeschrieben?
Nein, in der Schweiz ist Lohntransparenz nicht gesetzlich vorgeschrieben. Es gibt jedoch Bestimmungen im Gleichstellungsgesetz, die Unternehmen mit mindestens 100 Mitarbeiter:innen verpflichten, eine Lohngleichheitsanalyse durchzuführen.
Wie kann ich herausfinden, ob ich fair bezahlt werde?
Du kannst Tools wie den Lohnrechner von jobs.ch verwenden, um deinen Lohn mit anderen zu vergleichen. Je mehr Personen ihr Salär eingeben, desto genauer sind die Ergebnisse.
Was kann ich tun, wenn ich glaube, dass ich nicht fair bezahlt werde?
Sprich mit deinem:r Vorgesetzten oder der Personalabteilung über deine Bedenken. Es kann auch hilfreich sein, sich mit Kolleg:innen auszutauschen und Informationen über Löhne in ähnlichen Positionen oder Branchen zu sammeln.