Aus- und Weiterbildung | Karriere | Networking
In der Ruhe liegt die Kraft – 4 Eigenschaften, die Introvertierte zu besseren Führungskräften machen
Sie sind laut, haben immer das erste sowie letzte Wort und packen jedes Problem bei den Hörnern. So muss ein:e Chef:in sein – oder? Das ist zumindest das Bild, das wohl die meisten Menschen von Manager:innen vor Augen haben. Sind extrovertierte Personen aber wirklich auch die besseren Vorgesetzten? Es gibt viele Gründe, die dagegen sprechen. Schauen wir also einmal, was hinter dem Mythos der extrovertierten Superführungskraft steckt und warum introvertierte Menschen ihre Teams wahrscheinlich besser lenken.
Was macht überhaupt eine introvertierte Person aus?
Introvertierte Personen richten ihre Aufmerksamkeit vermehrt nach innen – also auf sich selbst –, während extrovertierte Menschen lieber mit ihrer Aussenwelt interagieren. Das klingt erst einmal so, als wären Introvertierte egoistisch und Extrovertierte altruistisch. In Wirklichkeit ist eher das Gegenteil der Fall.
Egoismus und Arroganz sind nur zwei der Vorurteile, mit denen introvertierte Menschen häufig konfrontiert werden. Sie gelten auch als schüchtern, nicht gesellig und viele glauben, es mangele ihnen an Selbstbewusstsein. Schüchternheit und Introvertiertheit sind jedoch zwei unterschiedliche Dinge. Schüchterne Menschen meiden soziale Interaktionen, weil sie in ihnen Unbehagen auslösen. Introvertierte Menschen haben keine Angst vor grossen Menschengruppen, fühlen sich in solchen Situationen aber schneller erschöpft. Nach langen Meetings benötigen sie eine Portion Me-Time.
Was introvertierte Personen wirklich auszeichnet, sind die folgenden Eigenschaften:
- selbstreflektierend
- ruhig
- arbeiten lieber in stiller Umgebung
- bevorzugen häufig schriftliche Kommunikation
- pflegen weniger, aber dafür innigere Freundschaften
Übrigens: Introvertierte und extrovertierte Menschen unterscheiden sich nicht bloss in ihrem Verhalten. Es gibt auch physische Unterschiede, die darauf hindeuten, dass wir gar keine Wahl haben, in welche Kategorie wir gehören. Das heisst: einmal introvertiert, immer introvertiert.
Studien zeigen, dass der Frontallappen des Hirns bei Introvertierten besser durchblutet ist als bei Extrovertierten. Dieses Areal des Hirns steht in Verbindung mit zahlreichen kognitiven Fähigkeiten. Wer Schäden am Frontallappen hat, plant seine Handlung nicht mehr so gut, ist weniger kreativ oder hat ein schlechteres Gedächtnis, vergisst also schneller Dinge. Menschen mit Frontallappenschäden zeigen auch häufiger Schwierigkeiten beim Lösen von Problemen.
Die Hirne von Introvertierten reagieren ausserdem anders auf Dopamin. Während der vermeintliche Botenstoff des Glücks bei Extrovertierten für einen Schub an Energie sorgt, zieht er introvertierte Menschen runter. Das erklärt auch, warum Introvertierte nach einem langen Bad in einer grösseren Menschenmenge erst einmal eine Auszeit benötigen.
Was macht eine gute Führungskraft aus?
Bevor wir klären, ob introvertierte Personen gute Führungskräfte sein können, sollten wir uns fragen, welche Eigenschaften Lenker:innen ausmachen. Viele verlangen nach einer starken Führung und nach jemandem, der in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, ohne diese Dinge genauer zu definieren. Zeichnet sich eine starke Führung durch Kompromisslosigkeit, Strenge und durch eine schnelle Entscheidungsfindung aus? Das sind nicht zwangsläufig positive Dinge, denn wer kompromisslos handelt, übersieht oftmals bessere Handlungsoptionen. Mit Strenge machen sich Führungskräfte im Nu unbeliebt und schnell getroffene Entscheidungen sind nur selten die besten.
Eine gute Führungskraft braucht
- Empathie,
- Fairness,
- Teamfähigkeit und
- ein Talent, andere zu inspirieren sowie mitzureissen.
Empathie ist notwendig, um die Bedürfnisse eines Teams zu erkennen. Auch mit Fairness und Teamfähigkeit schaffen gute Führungskräfte zufriedene und somit auch produktivere Teams. Zu guter Letzt muss eine Führungskraft andere von den eigenen Plänen überzeugen können, denn nur dann arbeitet auch jede:r mit vollem Elan an der Sache.
Die Stärken introvertierter Führungskräfte
Der introvertierte Boss klingt wie ein Oxymoron, ein Begriff, bei dem sich zwei Wörter widersprechen. Wer erfolgreich sein möchte, muss mit dem Kopf durch die Wand, braucht Ellenbogenmentalität und sollte auf jeden Fall extrovertiert sein. Die Realität zeigt, dass es durchaus introvertierte Führungskräfte gibt, die Erfolg haben. Schon mal etwas von Warren Buffett, Bill Gates oder Marissa Mayer gehört? Der milliardenschwere Investor, die ehemalige CEO von Yahoo und der Gründer von Microsoft bezeichnen sich selbst als eher introvertiert. Ihrem Erfolg schadete diese Eigenschaft nicht.
1. Introvertierte Führungskräfte sind die besseren Zuhörer:innen
Introvertierte gelten eher als ruhig, was sie zu hervorragenden Zuhörer:innen macht. Bevor sie die eigenen Gedanken herausposaunen, lauschen sie den Ideen ihrer Mitarbeiter:innen. Das führt nicht nur dazu, dass das Team sich wertgeschätzt fühlt, sondern ermöglicht auch eine bessere Entscheidungsfindung. Es fördert die Zusammenarbeit und zielt darauf ab, das bestmögliche Ergebnis zu liefern, anstatt nur die eigene Person in den Vordergrund zu rücken.
In einem kleinen Experiment konnten Forscher:innen diese Hypothese sogar bestätigen. Sie befragten Manager:innen und Angestellte von 130 Pizzerien und wollten wissen, wie häufig die Angestellten versuchten, Ideen in den Betrieb einzubringen. Von den Manager:innen wollten die Forscher:innen wissen, wie extrovertiert sie sind. Ein Blick auf die Zahlen der Lieferrestaurants zeigte, dass extrovertierte Manager:innen geringere Profite als der Durchschnitt erzielten, wenn die Mitarbeiter:innen versuchten, sich mit ihren Ideen einzubringen. Das deutet darauf hin, dass engagierte Teams und extrovertierte Bosse nicht zusammenpassen, vor allem wenn man einen Blick auf die anderen Pizzerien wirft. Extrovertierte Manager:innen mit Teams, die sich nicht oder nur wenig zu Wort meldeten, erzielten überdurchschnittlich hohe Profite. Für passive Teams scheinen also extrovertierte Führungskräfte besser geeignet zu sein.
In einem anderen Experiment bekamen mehrere Gruppen die Aufgabe, so schnell wie möglich T-Shirts zu falten. Einige Gruppen hatten introvertierte Anführer:innen und manche extrovertierte. Forscher:innen unterwanderten einige der Gruppen und brachten Verbesserungsvorschläge ein. Unter introvertierter Führung führten die Vorschläge zu spürbar besseren Ergebnissen. Die extrovertierten Anführer:innen fühlten sich und ihre Stellung durch die Vorschläge bedroht.
2. In sich gekehrte Bosse arbeiten effektiver unter Druck
Die Projektdeadline rückt näher und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Viele Führungskräfte ziehen jetzt die Zügel an und werden dabei nicht selten irrational. Introvertierte Führungskräfte bewahren die Ruhe – auch in brenzligen Situationen. Sie treffen Entscheidungen für gewöhnlich erst nach gründlicher Überlegung und unter Einbeziehung aller Fakten. Diese Ruhe überträgt sich übrigens auch auf den Rest des Teams, was zu einer entspannteren Arbeitsatmosphäre und langfristig besseren Ergebnissen führt.
3. Introvertierte sind sich nicht zu schade, auch mal falsch zu liegen
Jede:r macht Fehler. Wenn diese Fehler früh genug erkannt werden, lassen sie sich beheben. Introvertierte Menschen sind dafür bekannt, äusserst selbstkritisch zu sein. Der kritische Blick nach innen und das Hinterfragen der eigenen Taten kann zwar zu einer Tortur für die einzelne Person werden, hilft ihr aber auch, ein besserer Mensch bzw. Boss zu sein. Wer seine Fehler kennt, weiss, wo er sich verbessern kann. Die eigenen Fehler zu erkennen, heisst auch, selbst ab und zu einen Schritt zurückzutreten, um die Mitarbeiter:innen in den Fokus zu rücken. Die beste Idee gewinnt, und nicht die am lautesten vorgebrachte.
4. Introvertierte sind besser im Netzwerken
Das klingt wie eine gewagte These und zugegeben: Das ist sie in gewisser Weise auch. Introvertierte Personen haben definitiv weniger Kontakte in ihren Adressbüchern. Sie können sich aber auf die Kontakte, die sie haben, verlassen. Wer ständig über sich selbst und sein Verhalten nachdenkt, ist auch in der Lage, sich besser in die Gefühlswelt anderer hineinzuversetzen. Introvertierte Menschen handeln emphatischer. Sie zeigen Mitgefühl und handeln auch dementsprechend. Das Ergebnis ist: mehr Vertrauen. Mitarbeiter:innen kommen häufiger auf einen zu, um Vorschläge einzubringen, Probleme aufzuzeigen und Lösungen vorzuschlagen. Sie kommen lieber zur Arbeit, zeigen mehr Eigeninitiative und auch mehr Loyalität. Insbesondere in Zeiten, in denen es schwerer ist, kompetente Fachleute zu finden, halten introvertiertere Führungskräfte ihre Mitarbeiter:innen eher im Unternehmen als ihre extrovertierten Pendants. In solch einer positiven Atmosphäre gedeihen die besten Ideen, da ein reger Austausch stattfindet – ohne Angst, etwas Falsches zu sagen.
Introvertierte haben in der Regel also den besseren Zugang zu ihren Kolleg:innen. Sie erkennen versteckte Talente und fürchten sich nicht, etwaige Konkurrenz aufzubauen. Ihre einzigartige Perspektive hilft ihnen auch bei der Suche nach neuen Mitarbeiter:innen. Sie sind eher gewillt, den stillen Bewerber:innen eine Chance zu geben, weil sie etwas in ihnen sehen, das Extrovertierte übersehen.
Fazit: Sind Introvertierte wirklich die besseren Führungskräfte?
Die Antwort liegt wie immer irgendwo zwischen den beiden Extremen, was speziell in diesem Fall auch daran liegt, dass es kaum einen Menschen gibt, der zu 100 Prozent extro- bzw. introvertiert ist. Auch extrovertierte Führungskräfte haben ihre Stärken. Beide Personengruppen können also voneinander lernen. Extrovertierte Menschen leiten ihre Teams effektiver, wenn sie mehr auf sie eingehen und sich selbst häufiger zurücknehmen. Introvertierte Führungskräfte müssen öfters über ihren eigenen Schatten springen, um erfolgreicher zu sein. Dazu gehört es, die eigenen Gedanken vermehrt mit anderen zu teilen, anstatt im Stillen zu grübeln. Manchmal ist es aber auch nötig, seine eigenen Ideen zu verteidigen, wenn man an sie glaubt. In solchen Fällen ist ein selbstsicheres Auftreten wichtig – etwas, das Extrovertierte in die Wiege gelegt bekommen haben.
Das Bild oben wurde von unserem Designer mithilfe eines KI-Tools erstellt. 🧑🎨 🤖