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Bewerben mit über 50 – Interview mit einem Experten

Vor allem bei älteren Arbeitslosen gestaltet sich die Jobsuche in vielen Fällen besonders schwierig. Wir haben beim Experten Sandro Pisaneschi nachgefragt, wie es gelingt, 50+ Jobsuchende wieder in das Berufsleben zu integrieren und sie zu motivieren, nicht aufzugeben.

Mathias Steger: Herr Pisaneschi, welche Mehrwerte können ältere Jobsuchende potenziellen Arbeitgebern im Vergleich zu jüngeren bieten?
Sandro Pisaneschi: Da gibt es einiges. Ältere Menschen haben mehr Lebens- und Berufserfahrung. Sie haben enorm viel Wissen, dass sie weitergeben können. Sie haben im Leben schon einiges erlebt und können besser mit verschiedenen Situationen umgehen. Und weil sie schon viel Erfahrung gesammelt haben, wissen sie, was sie wollen. Das erhöht die Loyalität von älteren Mitarbeitern und minimiert das Risiko von einem schnellen Jobwechsel – ganz im Gegensatz zu jungen Arbeitnehmern, die noch Erfahrungen machen möchten. Das sorgt für Konstanz und Sicherheit. Menschen über 50 sind oft stabiler, denn meistens haben sie wichtige private Angelegenheiten wie Familiengründung oder auch Scheidung schon hinter sich. Und in diesem Alter wird wohl kaum jemand schwanger.

Das klingt nach vielen Vorteilen. Aber wie können ältere Stellensuchende diese hervorheben?
Indem diese Dinge in der Bewerbung konkret benannt werden – sowohl im Lebenslauf als auch im Bewerbungsschreiben. Auch in Bewerbungsgespräch können die Kandidaten direkt auf ihre Stärken eingehen.

sandro2Was halten Sie von der Möglichkeit, das Alter in der Bewerbung nicht zu erwähnen?
Ich persönlich finde das weder gut noch zielführend, denn das Alter kommt sowieso irgendwann ans Licht. Und selbst wenn es nicht im CV steht, dann ist es in einem Arbeitszeugnis oder in einem anderen Dokument zu finden. Recruiter stellen das Alter dann erst auf den zweiten Blick fest und fühlen sich irgendwie betrogen. Wenn ein Unternehmen alle Bewerbungen von Menschen über 50 aussortieren möchte, dann macht sie es auch mit denjenigen ohne Altersangabe im Lebenslauf.

 

Meine persönliche Erfahrung ist, dass Personalvermittler sehr wenig mit Menschen über 50 Jahren arbeiten.

Kommt es also wirklich vor, dass alle Bewerbungen von älteren Menschen gleich im Absage-Fach landen?
Ja, das kommt durchaus vor. Es ist wie ein mentaler Filter und ich bin überzeugt davon, dass dieser in vielen Unternehmen eingesetzt wird. Zugeben würde das jedoch kaum eine Firma. Meine persönliche Erfahrung ist, dass Personalvermittler sehr wenig mit Menschen über 50 Jahren arbeiten – es sei denn, sie sind aussergewöhnlich gut qualifiziert.

Oftmals ist auch die Angst vor hohen Gehaltsvorstellungen von älteren Arbeitnehmern ein Problem. Sind ältere Stellensuchende Ihrer Erfahrung nach bereit, mit den Saläransprüchen eine Stufe runterzugehen?
Ja, diese Erfahrung habe ich schon gemacht. Ältere Arbeitssuchende haben oftmals nicht mehr so viele Verpflichtungen. Die Hypothek ist vielleicht schon zurückbezahlt, die Kinder haben die Grundausbildung bzw. das Studium bereits abgeschlossen. Einige Träume sind erfüllt oder realistischer geworden. Da ist man eher bereit, mit Gehaltsansprüchen einen Schritt zurückzugehen – aber natürlich nur in einem zumutbaren Rahmen.

Nehmen wir an, einem 50+ Arbeitnehmers wird gekündigt. Was kann dieser dagegen machen?
Verhindern können sie eine Kündigung leider nicht. Aber sie sollten versuchen, zu verhandeln. Etwa, dass die Kündigungsfrist von drei auf sechs Monate verlängert wird. Gerade bei Kündigungen von älteren Arbeitnehmern stösst das bei Firmen oft auf Verständnis. Ausserdem besteht die Möglichkeit, dem Arbeitgeber vorzuschlagen, ein spezielles Outplacement zu zahlen. Dabei wird die gekündigte Personen bei der Arbeitssuche professionell unterstützt. Ich konnte mit meiner Outplacement-Agentur in Zürich bereits vielen bei der Wiederintegration in das Berufsleben helfen.

Wie interessant bzw. realistisch ist eine berufliche Umorientierung für die letzten Jahre am Arbeitsmarkt? Machen das Jobsuchende?
Das kommt auf das finanzielle Polster an. Ist dieses gross, kann aus einem Broker ein Weinbauer werden. Das muss man sich aber leisten können. Andererseits hat aber jeder seinen Rucksack an Kompetenzen und Ressourcen, die vielleicht in der Vergangenheit nicht so gut genutzt wurden. Da lohnt es sich, einen Ressourcen-Check zu machen und Qualitäten zu nutzen, mit denen man bisher noch kein Geld verdient hat. Das können intensiv ausgeübte Hobbys wie zum Beispiel Kunstschweissen oder Theaterspielen sein. Diese Fähigkeiten können dann in eine Neuorientierung einfliessen und in Kombination mit einer Ausbildung wie z.B. dem Erwachsenenbildner zu einem neuen Berufsbild führen. Dafür muss man aber auch der Typ sein und genug Offenheit und Mut mitbringen. Aktuell arbeite ich mit einem Klienten, der als Hobby Würste hergestellt hat, an einem Businessplan für eine Selbständigkeit in diesem Bereich.

Menschen über 50 sind oft stabiler, denn meistens haben sie wichtige private Angelegenheiten wie Familiengründung oder auch Scheidung schon hinter sich.

Gibt es Branchen, in denen es für 50+ besonders schwierig ist?
Das würde ich so nicht sagen. Vielleicht sind Branchen mit hoher physischer Belastung und hohem Stresspotenzial nicht ideal, denn ab einem gewissen Alter sind viele körperlich nicht mehr so belastbar. Auf den ersten Blick gibt es zwar Branchen, die nicht unbedingt für Menschen über 50 geeignet sind, wie beispielweise der gesamte IT-Bereich – aber selbst hier gibt es nicht nur Entwickler, sondern auch Verkäufer usw. Wenn etwa eine Software für 50+ entwickelt wird, dann macht es natürlich Sinn, dass auch Menschen dieser Altersgruppe daran arbeiten und diese testen.

Und wo haben sie besonders gute Chancen?
Gute Chancen bieten sich bei entsprechender Vitalität im Gesundheitsbereich oder im Handwerk. Auch in der Ausbildung oder sozialen Berufen kann mit der Lebenserfahrung gepunktet werden.

Wie kann es gelingen, verzweifelte Stellensuchende, die schon Monate, vielleicht sogar Jahre arbeitslos sind, wieder zu motivieren?
Es ist wichtig, dass sie sich nicht durch ihr Schamgefühl isolieren. Auch wenn es nicht einfach ist, so sollen sie immer wieder versuchen, sich aufzuraffen und etwas zu machen. Dabei kann bereits ein täglicher Morgenspaziergang helfen. Ich rate, unter Leute zu gehen und sich etwa ehrenamtlich zu engagieren. Dabei können sich neue Kontakte entwickeln und vielleicht ergibt sich irgendwann eine Chance für einen neuen Job. Ausserdem stösst es auch bei potentiellen Arbeitgeber auf mehr Interesse, wenn sich jemand während seiner Arbeitslosigkeit engagiert und aktiv ist und sich nicht die ganze Zeit mit Nichtstun langweilt.

Vielen Dank für Ihre Expertenmeinung!

Sandro Pisaneschi ist Inhaber von beratungsbuffet.ch und outplacement-zuerich.ch. Er begleitet Menschen in Veränderungssituationen und führt Outplacements mit Personen über 50 Jahren durch. Er berät Führungspersonen und Firmen in den Bereichen der Mitarbeiter- und Organisationsentwicklung und ist spezialisiert in der Wiedereingliederung von Menschen mit IV Hintergrund.

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