Vor der Bewerbung | Jobsuche
Alles rund um die berufliche Neuorientierung
Wir haben bestimmt alle schon einmal daran gedacht, für mehr Chancen am Arbeitsmarkt eine berufliche Neuorientierung in Erwägung zu ziehen oder den aktuellen Job hinzuschmeissen. Wann ist ein guter Zeitpunkt für diesen Schritt, was braucht es dazu und wie kann dieser gelingen? Markus Gross, Berufs- und Laufbahnberater vom BIZ Bern hat im Vorfeld der Veranstaltung Karriereschritt alle Antworten für uns.
Mathias Steger: Wie kann man für sich selbst feststellen, ob man sich beruflich umorientieren sollte?
Markus Gross: Manche haben einfach Lust auf eine neue Herausforderung, andere merken, dass ihre Motivation in ihrem Beruf schwindet und für wieder andere ändert sich das Arbeitsumfeld so stark, dass sie wechseln müssen. Typische Anzeichen sind eine permanente Unter- oder Überforderung, die ständige Frage nach dem Sinn der Arbeit, nach mehr Lohn und Anerkennung oder auch gesundheitliche Probleme.
Welche Eigenschaften braucht es, wenn sich jemand beruflich neu orientieren möchte?
Am wichtigsten sind Offenheit und Neugier. Dazu gehört auch, dass man sich über die verschiedenen Möglichkeiten informiert und den ersten Schritt ins Unbekannte wagt. Eine Neuorientierung bedeutet viel Zeit und Energie aufzuwenden und Vertrautes hinter sich zu lassen. Dazu muss man erst mal bereit sein.
Kann man zu jung oder zu alt für eine Umorientierung sein?
Generell nicht. Bei einigen Berufen muss man jedoch sagen, dass es ab einem bestimmten Alter schwierig wird. Mit 40 wird niemand mehr professioneller Balletttänzer. Oder bei Polizisten liegt die Altersgrenze zur Ausbildung bei 30. Umgekehrt wird man mit 20 Jahren auch nicht CEO einer Bank. Ansonsten ist eine Umorientierung immer möglich, dabei sollten Chancen rechtzeitig genutzt werden. Jungen Leuten rate ich zu ein wenig Durchhaltevermögen. Zu Beginn einer Karriere muss allenfalls eine Durststrecke überwunden werden, bevor man an die spannenden Jobs rankommt.
Eine Neuorientierung bedeutet viel Zeit und Energie aufzuwenden und Vertrautes hinter sich zu lassen. Dazu muss man erst mal bereit sein.
Gibt es Branchen und Berufe, die besonders offen gegenüber Menschen sind, die sich beruflich umorientiert haben?
Ja. Der Stellenmarkt spielt dabei eine wichtige Rolle. Bei Fachkräftemangel ist ein Quereinstieg tendenziell einfacher. In der Pflege, der Gastronomie oder in gewissen handwerklichen Berufen gibt es beispielsweise ziemlich gute Optionen. In anderen Bereichen wie in der Informatik ist es nicht so einfach. Hier werden vor allem Leute gesucht, die schon gut qualifiziert sind. Aber auch die Firmenkultur prägt die Offenheit für ungewöhnliche Biografien der Bewerbenden. Manchmal sind Querdenkende sogar explizit erwünscht.
Wann ist ein guter Moment für eine Umorientierung?
Das ist sehr individuell. Oft sind es bestimmte Lebensereignisse: ein Job geht zu Ende, die Firma wird umstrukturiert oder die Kinder werden flügge. Häufig muss zuerst ein gewisser Leidensdruck entstehen, bevor grössere Veränderungen angegangen werden.
Was braucht es, damit ein Neustart gelingt?
Ein klares Ziel vor Augen. Wille, Hartnäckigkeit, Mut, Selbstvertrauen und Begeisterung.
Aber auch eine realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und des Marktes in den man einsteigen will. Und nicht zuletzt die notwendigen Ressourcen.
Welche Rolle spielt Geld bei einer Umorientierung?
Viele Leute machen eine Umorientierung, weil sie mehr verdienen wollen. Aber mindestens genauso viele wollen einen spannenderen Job oder mehr Herausforderung und sind sogar bereit, Lohneinbussen hinzunehmen. Karriere heisst nicht für alle immer höher und weiter, sondern eine ausgeglichene Work-Life-Balance. Die Kosten für allfällige Aus- und Weiterbildungen sind auch ein wichtiger Faktor bei der Auseinandersetzung mit der beruflichen Neuausrichtung.
Wer kann bei der Umorientierung unterstützend sein?
Einerseits können Freunde, Familie und Bekannte mit Rat und Tat beistehen. Arbeitskollegen, Vorgesetzte oder Personalverantwortliche können auch wertvolle Feedbacks geben. Das kann natürlich heikel sein, wenn der Arbeitgeber nicht wissen soll, dass jemand kurz vor dem Absprung ist. Aber es kann auch zu interessanten Gesprächen oder sogar zu neuen Entwicklungsmöglichkeiten im Betrieb kommen. Andererseits gibt es professionelle Laufbahnberatende mit fundiertem Wissen zu Beruf und Bildung und viel Erfahrung im Begleiten von Laufbahnprozessen. Ein persönliches Gespräch an der Karriereschritt ist ein guter erster Schritt auf diesem Weg. Natürlich gibt es auch andere Hilfsmittel wie etwa Bücher oder eine längere Auszeit.
Ist die Umorientierung im Umfeld oft negativ behaftet?
Wenn jemand etwas komplett anderes machen will, ist es nachvollziehbar, dass im Umfeld Fragen nach Motivation, Sinn und Zweck auftauchen. Diese sollten einem potentiellen Arbeitgeber plausibel vermittelt werden können. Manchmal kommen diese Zweifel aber auch aus dem privaten Umfeld, beispielsweise, wenn ein prestigeträchtiger Beruf mit hohem Einkommen aufgegeben wird. Man kann aber durchaus auch Lob und Verständnis ernten für den Mut zur Veränderung.
Was sollte man beim Bewerbungsprozess beachten, wenn man sich gerade neuorientiert hat und keine Erfahrung mitbringt?
Vielleicht findet man nicht gleich den Traumjob, aber es ist sehr wichtig, erste Erfahrungen zu sammeln. Das kann auch ein Praktikum sein. Man sollte sich auch etwas zutrauen. Stellenausschreibungen beschreiben immer das optimale Anforderungsprofil, das sich ein Unternehmen wünscht. Man soll sich nicht abschrecken lassen, auch wenn man nicht alle Kriterien erfüllt. Ausserdem werden nicht alle Stellen ausgeschrieben; deshalb lohnt es sich aktiv auf Firmen zuzugehen. Ganz wichtig ist auch, dass die Bewerbung individuell gestaltet ist und auf den jeweiligen Job passt. Personalfachleute schauen ein Dossier gewöhnlich nur wenige Augenblicke an. Die Bewerbung muss knackig sein und Bewerbende sollen zeigen, was sie können, ohne zu übertreiben. Die Bewerbung muss das Potenzial des Kandidaten auf einen Blick sichtbar machen.
Ein klares Ziel vor Augen. Wille, Hartnäckigkeit, Mut, Selbstvertrauen und Begeisterung.
Wie kann die Veranstaltung Karriereschritt für die berufliche Umorientierung helfen?
Bildungsanbieter, Beratungspersonen und Fachleute werden während zwei Tagen die Besucher direkt und individuell beraten. Die BIZ werden einen Informationsstand haben, wo wir zu verschiedenen Berufen, Aus- und Weiterbildungen informieren und auch Kurzgespräche zu Neuorientierung, Ausbildungsfinanzierung und vielen anderen Themen anbieten.
Markus Gross arbeitet als Berufs- und Laufbahnberater beim BIZ Bern . Dort ist er in der Einzelberatung von Jugendlichen und Erwachsenen tätig und leitet Kurse und Projekte und organisiert Veranstaltungen zu verschiedenen Themen wie Digitalisierung der Arbeitswelt, Online Jobsuche oder Bewerbung.
Die Karriereschritt findet am 7. und 8. September in Bern statt und ist kostenlos. Es handelt sich um eine Plattform für Information, Inspiration und Austausch für alle, die den Wunsch haben, sich beruflich zu verändern oder weiterzuentwickeln. Auf die Besucherinnen und Besucher warten interessante Aussteller, Workshops sowie ein spannendes Rahmenprogramm mit Highlights wie Mathias Morgenthaler zum Thema Beruf und Berufung.