Vor der Bewerbung | Jobsuche
Jobsuche und Wiedereinstieg in den Job für Frauen – Interview mit einem Laufbahncoach
Frauen werden bei der Jobsuche und im Wiedereinstieg in die Arbeitswelt nach wie vor Steine in den Weg gelegt. Was es benötigt, um diese Hindernisse zu bewältigen, und wie sich Frauen bei der Jobsuche durchsetzen können, schildert uns Anne-Louise Swain, Laufbahncoach für Frauen, anlässlich des International Women’s Day im Interview.
Mathias Steger: Sie unterstützen Frauen, die einen Wiedereinstieg nach einem längeren Unterbruch anstreben. Warum fällt der Wiedereinstieg oft so schwer?
Anne-Louise Swain: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Gerade Frauen, die aufgrund einer Trennung oder Scheidung den Wiedereinstieg anstreben, sind oftmals gefordert, sich einerseits von ihrem ehemaligen Lebensentwurf, Vollzeit Familien-Managerin zu sein, zu verabschieden und sich andererseits in einem sehr kompetitiven Arbeitsmarkt zu positionieren. Viele dieser Kundinnen haben sich lange nicht mehr beworben und sind mit den heutigen Anforderungen im digitalisierten Bewerbungsprozedere überfordert.
Besonders herausfordernd ist es für Kundinnen, die aufgrund von Krankheit länger vom Erwerbsprozess weg waren. Bei ihnen ist der Wiedereinstieg oft gekoppelt mit einer beruflichen Neuorientierung. Dies hat dann meist umfassende Konsequenzen in Bezug auf zeitliche, finanzielle und persönliche Ressourcen zur Folge. Verständlicherweise ist das Selbstbewusstsein dieser Kundinnen oft angeschlagen. Deshalb ist es mir wichtig, mit den betroffenen Frauen ihr Potential zu klären und dieses für sie sichtbar zu machen. Viele Wiedereinsteigerinnen haben zudem keine aktuellen Zeugnisse und Berufserfahrung vorzuweisen.
Meine Wahrnehmung ist, dass Frauen über zusätzliche und andere Ressourcen verfügen.
Glauben Sie an Stärken von Frauen im Vergleich zu Männern oder halten Sie nichts von solchen Verallgemeinerungen?
Meine Wahrnehmung ist, dass Frauen über zusätzliche und andere Ressourcen verfügen. Als Familien-Managerin mit Betreuungsaufgaben von Kindern, verbunden mit einer Erwerbstätigkeit, sind es diese Frauen gewohnt, durchgetaktet ihren Alltag zu gestalten, den Überblick zu bewahren und den verschiedenen Anforderungen gerecht zu werden. Diese Frauen erwerben damit eine Vielfalt an Kompetenzen, beispielsweise Belastbarkeit, Leistungsbereitschaft, Sozialkompetenz und Lösungsorientierung.
Viel lieber jedoch, als die Unterschiede zu betonen resp. die Klischees zu bedienen, versuche ich im Laufbahncoachingprozess, mit meinen Kundinnen auf ihr persönliches Potential einzugehen.
Auf den ersten Blick wirken Lebensläufe vieler Frauen vielleicht chaotisch und der Weg ist teilweise von Verletzungen geprägt. Meine Aufgabe liegt dann darin, einen roten Faden erkennbar zu machen und die meist vielfältigen Ressourcen herauszukristallisieren. Das ist es, was Frauen in ihrem Selbstbewusstsein bestärkt und ihnen hilft, am Arbeitsplatz und im Bewerbungsprozess mit einer klaren Haltung aufzutreten.
Gibt es Bereiche, wo Frauen beim Wiedereinstieg in den Beruf bzw. einer beruflichen Umorientierung besonders viel Unterstützung benötigen?
Viele Frauen sind oft sehr selbstkritisch, zensieren sich selbst und haben wenig Erfahrung, weder beruflich noch privat, ihrer eigenen Berufung Raum zu geben und sich darin zu positionieren. Es gilt, ihre «innere Aktivistin» zu unterstützen und sie zu ermutigen, auch unkonventionelle Wege zu beschreiten. So motiviere ich auch 55+ Kundinnen zum Schnuppern in den favorisierten Berufsbereichen und zum Ausprobieren neuer Wege. Beispielsweise indem sie neue Bewerbungsformen ausprobieren, wie Bewerbungsflyer abzugeben oder mit einem gezielten Vernetzungsgespräch auf sich aufmerksam zu machen.
Erfreulich viele Kundinnen haben trotz aller Herausforderungen den Mut, ihre Visionen ernst zu nehmen und ihre persönlichen Ziele weiterzuverfolgen. Im Rahmen des Laufbahncoachings ist es mir wichtig, keine Lösungsrezepte vorzulegen, sondern die Kundinnen auf ihrem Prozessweg zu unterstützen und ihnen möglichst passende Werkzeuge beim Umbau ihrer Berufsziele zu reichen.
Wie gelingt es Frauen, sich im Bewerbungsprozess gegenüber Männern durchzusetzen?
Ich versuche, Vergleiche zu Männern möglichst zu vermeiden und möchte meine Kundinnen zu einem eigenen Weg und Selbstverantwortung motivieren. Hinter den Herausforderungen der Frauen im Bewerbungsprozess stecken aus meiner Sicht gesellschaftliche und auch politische Ansichten. Diese sind in der Schweiz besonders restriktiv, was die Rolle der Mütter und auch die familienergänzende Kinderbetreuung anbelangt.
Die Gesellschaft muss sich noch an starke und mutige Frauen, die sich auf dem Arbeitsmarkt positionieren wollen, gewöhnen.
Ich versuche, zu vermitteln, sich vermehrt zu positionieren und für sich und seine Forderungen klar einzustehen. Dabei gilt es auch zu lernen, mit Körben oder Widerstand umzugehen. Die Gesellschaft muss sich noch an starke und mutige Frauen, die sich auf dem Arbeitsmarkt positionieren wollen, gewöhnen. Ich glaube, wir sind in der Schweiz nach wie vor in einer Übergangsphase zu neuen Rollenbildern von Frau und Mann, die für alle Beteiligten zu einer Verunsicherung führt. Ich erhoffe mir, dass neue Vorbilder mit gleichberechtigter und selbstbestimmter Aufteilung von Erwerbsarbeit, Haushaltführung und Betreuungsaufgaben kommende Generationen und die Politik nachhaltig beeinflussen werden.
Können flexible Arbeitszeitmodelle wie Jobsharing, Teilzeit oder Home-Office für Frauen nützlich sein oder ist das ein Klischee?
Frauen sind bekanntermassen gerade in Führungspositionen untervertreten. Damit Frauen vermehrt auch Kaderpositionen einnehmen oder überhaupt am Erwerbsleben teilnehmen können, sind flexible Arbeitszeitmodelle wie Jobsharing, Teilzeitstellen oder Home-Office unabdingbar.
Einige Arbeitgebende haben inzwischen gemerkt, dass flexiblen Arbeitszeitformen sowohl für die Arbeitnehmende als auch für das Unternehmen eine Win-win-Situation darstellen. Unternehmen sollten sich vermehrt auf attraktive Angebote flexibler Arbeitszeitformen konzentrieren, um die zukünftigen demographischen Engpässe zu bewältigen.
Selber bin ich ein Fan von Jobsharing. Diese Möglichkeit steckt noch in den Kinderschuhen und wird aus meiner Sicht zu wenig genutzt. Es muss bei den Bewerbenden und den rekrutierenden Unternehmen noch mehr Sensibilisierung für Jobsharing passieren.
Lohnungleichheit ist nach wie vor ein grosses Thema. Was raten Sie Frauen, um sicherzustellen, dass sie den gleichen Lohn erhalten wie ein Mann in dieser Position?
Über Löhne wird allgemein nicht gern gesprochen. Darum ist es schwierig, ungerechtfertigte Lohnunterschiede zu erkennen. Ich empfehle meinen Kundinnen, sich bei einer Stellenbewerbung nach dem Lohnsystem des Betriebs zu erkundigen, sich über branchenübliche Löhne zu informieren und Lohnvergleiche zu machen, beispielsweise mittels Lohnrechner im Internet.
Verschiedene kantonale Fachstellen für die Gleichstellung von Frauen und Männern bieten Kurse zum Thema «Kreativ und geschickt in die Lohnverhandlung» an, die ich unbedingt empfehle.
Oft ist es besonders schwierig, wenn die Lohnungleichbehandlung verdeckt abläuft. Wie beispielsweise bei einer Kundin, deren junge männliche Kollegen in gleicher Funktion fortlaufend mit finanzierten Weiterbildungen gefördert werden und sie mit nicht nachvollziehbaren Argumenten mit ihren gleichberechtigten Forderungen immer wieder abgespeist wird. In diesen Fällen ist eine Beweisführung sehr schwierig. Ich rate Frauen, sich bei vermuteter Lohndiskriminierung bei der zuständigen kantonalen Fachstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern zu erkundigen. Die Beratungen durch die Fachstelle werden kostenlos angeboten.
Anne-Louise Swain bietet seit mehr als zehn Jahren Laufbahncoaching für Frauen an. Seit knapp zwei Jahren ist Swain selbständig (weitere Infos unter https://www.annelouiseswain.ch/) mit Hauptsitz in Bern und einer Filiale in Zürich.