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Über 50 und arbeitslos – vom Abstellgleis wieder in den Arbeitsmarkt
Immer mehr über 50-Jährige in der Schweiz haben – obwohl gut ausgebildet – grosse Schwierigkeiten einen neuen Job zu finden. Die Gründe dieses Phänomens reichen von branchenspezifischen Eigenheiten bis zu gesundheitlichen Problemen. Wie man mit 50+ trotzdem wieder einen Job finden kann, erklärt Daniel Neugart vom Verband Save 50Plus Schweiz im Interview.
Du bist gut ausgebildet, arbeitest seit langem für den gleichen Arbeitgeber und hast wertvolle Erfahrung in deinem Bereich. Doch du hast ein Problem – du bist zu alt. Deine Jobsicherheit ist in Gefahr. So wie bei Hans-Peter*. Hampi, wie er von seinen Freunden genannt wird, ist 53, studierter Maschinenbauingenieur, hatte eine schöne Karriere – bis es passierte: Ihm wurde gekündigt, weil er angeblich die Anforderungen im digitalen Zeitalter nicht mehr erfüllte.
Oft fehlen über 50-Jährige in Statistiken
Hampi ist kein Einzelfall. In der Schweiz waren im Oktober 2016 knapp 37’800 Arbeitslose über 50 registriert und mehr als 55’400 Ü50-Jährige auf Stellensuche. Was im Verhältnis nicht nach viel aussieht (siehe Infografik) täuscht in Wahrheit. Gemäss einer Recherche des Tages-Anzeigers erscheinen viele ältere Arbeitslose nicht in der Statistik, da sie an Umschulungen teilnehmen oder sich in einem Zwischenverdienst befinden. Zusätzlich gibt es auch branchenspezifische Unterschiede. Eine Studie, die vom Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich herausgegeben wurde, zeigt auf, dass vor allem in Finanz- und Versicherungsbetrieben und der Informations- und Kommunikationsbranche am wenigsten Personen über 50 arbeiten. Hingegen würden im Bildungs- und Sozialwesen und in der öffentliche Verwaltung überdurchschnittlich viele über 50-Jährige arbeiten. Als Begründung würden die Autoren der Studie„[…]beispielsweise mangelhafte Weiterbildung, oder gesundheitliche Probleme bei älteren Erwerbstätigen[…]“ in Betracht ziehen.
Der Wiedereinstieg beginnt im Kopf
Der Präsident vom nationalen Dachverband Save 50Plus Schweiz, Daniel Neugart (54), sieht andere Probleme bei der Arbeitslosigkeit von über 50-Jährigen.
Ben Seiler: Herr Neugart, warum werden Arbeitnehmer über 50 öfter arbeitslos?
Daniel G. Neugart: Was bis vor kurzem statistisch nicht zu belegen war, ist heute eine Tatsache: Über 50-Jährige sind tendenziell stärker von der Langzeitarbeitslosigkeit betroffen als andere Altersgruppen. Vor allem aber dauert es durchschnittlich länger, um eine gleichwertige Stelle zu finden. Der Trend in diese Richtung wird weitergehen, wenn nichts dagegen unternommen wird.
Wer ist denn an dieser Entwicklung Schuld?
Mit dem Finger auf einen Schuldigen zu zeigen nützt nichts – die Verantwortlichen müssen sich selbst an der Nase nehmen. Zum einen werden in den Anforderungsprofilen der Unternehmen oft Superhelden gesucht. Aber selbst wenn solche überhaupt zu finden wären, dann gebe es definitiv zu wenige davon. Es ist natürlich ein Leichtes zu behaupten, man hätte keine geeigneten Kandidaten gefunden, wenn sie dann auch noch 25 Jahre jung sein und für ein Butterbrot arbeiten sollen. Ebenfalls werden HR-Verantwortliche durch Altersbeschränkungen unter Druck gesetzt.
Vielfach heisst es auch, über 50-Jährige seien zu teuer…
Oft wird mit Argumenten, ohne zu überlegen, aus der Hüfte geschossen. Die Alten seien wegen der Sozialabgaben zu teuer. Wenn aber ein über 50-Jähriger ausgesteuert ist und sich beim Sozialamt melden muss, wird er erst recht unbezahlbar. Ich bin überzeugt, dass gesunde Unternehmen mit der Beschäftigung von 50+ Arbeitskräften keine Probleme haben. Aber natürlich gibt es neben den Sozialabgaben auch noch andere Gründe; jüngere Vorgesetzte sind mit der Führung von erfahrenen Arbeitnehmern überfordert, was zu Konflikten führt – und im schlimmsten Fall über Bossing und Mobbing zu einem Burnout oder Kündigung. Ein älterer Mensch kann sich in einen Jüngeren versetzen, umgekehrt geht nicht.
Was wäre denn die beste Möglichkeit, um wieder in die Arbeitswelt einzusteigen?
Es beginnt alles im Kopf. Nach einem Stellenverlust sollte man Raum für Wut, Traurigkeit und Enttäuschung lassen. Danach ist es aber wichtig, Eigenverantwortung zu übernehmen und so rasch wie möglich zu agieren. Viele verlieren zu viel Zeit, Energie und Geld, ehe der Leidensdruck zu gross wird und sie sich eingestehen, dass sie Hilfe brauchen. Wir von SAVE 50Plus Schweiz bieten diese Hilfe und holen die Menschen sofort und ohne Befangenheit auf Augenhöhe ab. Durch unser Selbstintegrationsprogramm „My Way 50Plus“ bereiten wir die über 50-Jährigen Stellensuchenden mit Fachseminaren auf den direkten Kontakt und offenen Austausch mit relevanten Arbeitgebern vor und machen sie so „fit for job“. Das ist am erfolgreichsten.
Inwiefern ist dieses Selbstintegrationsprogramm hilfreich?
Vorurteile werden auf beiden Seiten abgebaut, verschiedene Perspektiven ausgeleuchtet und gegenseitiges Vertrauen und Verständnis aufgebaut. Ebenso werden das Netzwerk und die Selbstvermarktung der Kandidaten gefördert. Wichtig ist aber auch, dass über 50-Jährige gegenüber neuen und modernen Arbeitsmodellen positiv eingestellt sind und für den potenziellen Arbeitgeber attraktiv sein wollen. Ein Wandel muss aber keineswegs ein schmerzhafter Prozess sein, eher sollten es erfahrene Stellensuchende als Chance sehen, direkt in den Arbeitsmarkt eingreifen zu können. Man muss nach vorne denken, deswegen ist unser Motto auch: „Plan A heisst Erfolg – Plan B gibt es nicht!“
Was für Tipps können Sie über 50-Jährigen Bewerbern geben?
Teilzeitarbeit, Jobsharing und Jobsplitting sind neue Arbeitsmodelle, denen die Zukunft gehört – darauf muss man sich einlassen. Der Arbeitsmarkt, wie man ihn kennt, ist ein Auslaufmodell. Moderne Stellensuchende lernen, dass sie ihr Potenzial wie ein Dienstleister in einem offenen Markt anbieten – natürlich zu einem angemessenen Preis, der gesetzeskonform ist. Auch Flexibilität spielt eine grosse Rolle: Auch wenn ein Arbeitgeber nur einen Teil der Kompetenzen des Kandidaten benötigt, sollte man offen sein und sich über eine Teilzeitstelle oder Jobsharing oder -splitting Gedanken machen. Man muss auf jeden Fall zuerst den Fuss zwischen die Türe bekommen, wenn man am Schluss gewinnen will.
Hampi hat nun nach 13 Monaten glücklicherweise den Wiedereinstieg in die Berufswelt geschafft. In Retrospektive würde er einiges anders machen: „Man muss sehr schnell alle Leute angehen, die einem helfen können, und sofort mit der Stellensuche beginnen. Ich wusste damals nicht, dass Tempo alles ist.“ Falls du interessiert bist und professionelle Hilfe für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt suchst, findest du hier den Kontakt vom Verband Save 50Plus. *Name geändert